Hintergrund

Im Dialog mit dem Holz

Horst-Dieter Gölzenleuchter, im Künstler- und Freundeskreis nur „Oskar“ genannt, ist Holzschneider, Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Büchermacher, darüber hinaus Organisator von Ausstellungen, Künstlertreffs und Kunstauktionen. In seinem Bochumer Atelier auf dem Gelände der ehemaligen Bochumer Zeche Lothringen gehen Künstler, Kunstfreunde und Bücherliebhaber ein und aus. Seine Holzschnitte, Bilder, Skulpturen und Bücher beziehen engagiert Stellung zu sozialen, politischen und historischen Fragen. Oskar ist dabei selbst wie einer seiner auf der eigenen Presse gedruckten Holzschnitte: geradlinig, scharfkantig, kraftvoll konturiert.

Der 1944 in Freiburg im Breisgau geborene Horst-Dieter Gölzenleuchter findet in seiner Wahlheimat Ruhrgebiet zur Kunst. Die bildende Kunst ist für ihn von Beginn an ganz eng verbunden mit engagierter Literatur, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen und mit der industriellen Prägung der Region auseinandersetzt: Schon 1968 gründete er in Wanne-Eickel die „Proletenpresse“, in der er als erste Publikation die Zeitschrift „Asphalt. Blätter für kritische Kunst und Literatur“ herausbrachte. 1970 war Oskar Gölzenleuchter beteiligt an der Gründung der Dortmunder Werkstatt im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, 1979 begann er dann in Bochum seine bis heute bestehende „Edition Wort und Bild“, in welcher der Künstler seine handgefertigten und oft mit eigenen Originalillustrationen versehenen Bücher herausbringt, die unverwechselbar seine Handschrift zeigen. In Blockbuchbindung mit Holzschnitten auf den Umschlägen gibt der Künstler und Buchverleger Prosatexte und Gedichtsammlungen befreundeter Autoren, aber auch eigene Texte und Illustrationen heraus, die als „Zeitzeugnisse“ eines engagierten Zeitgenossen zu charakterisieren sind. Das Eintreten für Menschenrechte, für eine demokratische Kultur und Gewerkschaft, Respekt für den Anderen, Fremden, und ein vorsichtiger Umgang mit der Natur sind dabei Themen, die sein literarisches Werk wie auch sein grafisches und malerisches Schaffen prägen.

Wohin ...? I, 2015, Holzschnitt, 111 x 89 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Wohin ...? IV, 2015, Holzschnitt, 111 x 89 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Baum und Mensch, 2008, Holzschnitt, 100 x 105 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Für Dastani, 1991, Holzschnitt, 200 x 100 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Aus dem Holz III, 2009, Holzschnitt, 210 x 95 cm,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Für Pablo Neruda I, 2005, Holzschnitt, 87 x 63 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Für Pablo Neruda III, 2005, Holzschnitt, 87 x 63 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Vor allem als Holzschneider steht Gölzenleuchter in einer Tradition, für die bedeutende Künstler wie Käthe Kollwitz, Frans Masereel, der holländische Widerstandskünstler Hendrik Nikolaas Werkman, die deutschen Expressionisten des „Blauen Reiter“ und der „Brücke“, und das große Vorbild HAP Grieshaber zu nennen sind. Aus dieser Tradition bezieht er sein Formvokabular und seine eingängige Bildsprache, die plakativ, klar konturiert, eindeutig, erzählerisch und aufrüttelnd sind. Oskar Gölzenleuchter will verständlich sein, er will mit seinen Bildern wirken, Zusammenhänge aufzeigen, Missstände benennen, aber auch Utopien beschreiben, die Möglichkeit skizzieren, dass der Mensch im Einklang mit der Natur und mit sich selbst leben kann.

„Jedes Holz sagt mir, was in ihm steckt.“

Von großer Bedeutung ist für den Künstler der materialgerechte Umgang mit dem Holz, aus dem er seine Druckstöcke anfertigt, es erfordert ein sensibles Eingehen auf die im Werkstoff Holz vorgegebenen Strukturen und Eigenheiten: „In den verschiedenen Holzmaterialien wohnen die verschiedensten Geschichten. Jedes Holz sagt mir, was in ihm steckt. Sagt mir, mit welchem Werkzeug ich es gestalten muss … Ich kann es mit spitzer Nadel kratzen und stechen, mit den Fräsköpfen der Bohrmaschine traktieren, den Winkelschleifer über das Holz jagen, dass es qualmt, oder es mit der Stahlbürste ‚streicheln‘, bis es mir seine Maserung deutlicher zeigt.“ Meist jedoch arbeitet der Holzschneider mit dem Messer, Teppichmesser, mit dem Hohleisen zum Freilegen von Flächen und dem Geißfuß für feine, zarte Linien, genauso, wie seine Vorgänger einer fast sechshundertjährigen Tradition des Holzschnitts. Er führt einen aufmerksamen und sensiblen Dialog mit der vor ihm liegenden Holzplatte oder Holzbohle, deren „Risse und Verletzungen von der Vergänglichkeit der Dinge erzählten, von den Wunden, Verletzungen, die Menschen Menschen, der Natur zufügen … Alle Linien, Flächen, die ich dem Holz abgewinne, liegen einige Millimeter tief im Holz. Sie können, wenn ich mit der Walze die Farbe auf den Druckstock bringe, diese nicht aufnehmen, alles Weggeschnittene bleibt weiß. Nur von den hochstehenden Formen wird Farbe angenommen. So entsteht aus dem Weggeschnittenen, dem Stehengelassenen im Hell-Dunkelkontrast das Motiv.“

Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Valentina Gölzenleuchter
Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Valentina Gölzenleuchter

Neben dem Holzschnitt hat sich das künstlerische Spektrum Oskar Gölzenleuchters im Laufe der Zeit erweitert, Malerei, Zeichnung, Relief und Skulptur treten als eigenständige Ausdrucksformen neben das druckgrafische Medium. Eine Tendenz zum spielerischen und experimentellen Umgang mit seinem vorgegebenen Material lässt sich feststellen: Gefundene Holzbretter, Abfallholz, Bruchstücke dienen dem Künstler als Trägermaterial oder auch als skulpturale Form. Deren zufällige Strukturen und Maserungen finden stärkere Berücksichtigung in der künstlerischen Bearbeitung, die dem Vorgegebenen nachspürt, sich inspirieren lässt, dabei immer das Zufällige und das Organisch-Natürliche respektierend. Die Natur als Thema wie auch als Formanregung hat sich in Gölzenleuchters Schaffen ein immer größeres Gewicht verschafft; die dem Fundstück inhärente Materialpoesie, das Unbearbeitete, Rohe, aber auch das organisch Gewachsene finden sich in seinen Werken beinah ungebrochen wieder, formal von figurativ-narrativen Kompositionen bis zu informell-abstrakten Formschöpfungen reichend. Angeregt durch afrikanische Skulpturen der Makonde, die Niederschlag gefunden haben in zahlreichen Holzschnitten und Gemälden der 1990er- und 2000er-Jahre, hat sich das künstlerische Werk formal wie inhaltlich erweitert. Die geschnittene Holzplatte, der Druckstock, verwandelt sich zur eigenständigen skulpturalen Form, zum Flachrelief oder auch zur freistehenden Skulptur, die gleichzeitig und gleichwertig mit von ihr gefertigten Abdrucken in Ausstellungen präsentiert werden.

Malerin, 2005/07, Holzschnitt, 57 x 37 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Winterlandschaft, 2010, Holzschnitt, 115 x 70 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Zum 8. März, 2016, Holzschnitt/Collage, 70 x 50 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Traumlinien, 2015/16, Holzschnitt, 30 x 42 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Landschaft, 2015, Holzschnitt/Collage, 70 x 50 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Ich-AG I/II, 2005, Holzschnitt, je 180 x 80 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Sinnliche Begegnung III, 2011, 76 x 53 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/ Horst-Dieter Gölzenleuchter, Foto: Horst-Dieter Gölzenleuchter

Auch als Maler betritt Oskar Gölzenleuchter neue Wege. An die Stelle der früheren großformatigen figurativen Darstellungen, die oftmals einen erzählerischen und einen an den Be-trachter appellierenden Charakter hatten, ist das kleine Format der Ölstudie getreten: Skizzenhaft, gestisch, das Malmaterial betonend, hält der Maler Gölzenleuchter Atmosphärisches fest. Begegnungen von Menschen, Bewegung, Kommunikation, menschliches Miteinander sind seine Themen. Die kleinformatigen Szenen stellt Gölzenleuchter häufig zu vielgestaltigen Tableaus zusammen, die wie Reflexionen und Variationen über ein Thema erscheinen. Die klaren, oftmals anklagend vorgebrachten politischen Themen haben sich in diesen Bildern zu einer intimeren Sicht auf die Welt gewandelt, ohne dabei an Eindringlichkeit zu verlieren. Der Mensch selbst in seinen weit über das tagespolitische Argumentieren hinausgehenden Lebenszusammenhängen, der Mensch in seiner Beziehung zur Natur und der Mensch in einer immer anonymeren und technisierteren Zivilisation sind Gölzenleuchters künstlerische Themen, die er als Maler, Bildhauer, als Autor und Büchermacher, aber vor allem als Holzschneider bearbeitet: „Jeder Druck ist ein Stück Widerstand gegen den Beton in uns“, fasste er sein künstlerisches Credo zusammen. Mit seinen Holzschnitten führt Oskar Gölzenleuchter seinen Kampf gegen den Beton in uns unverdrossen fort, weniger tagesaktuell und vordergründig politisch argumentierend wie in seinen frühen Arbeiten, aber immer von einem zutiefst humanen Engagement geprägt.

Oskar Gölzenleuchter ist mit seiner Edition „Wort und Bild“, mit seiner Kunst und mit seiner Rolle als Organisator und Kommunikator weit über seine Wahlheimat Bochum hinaus bekannt geworden. Er ist eine Symbolgestalt einer kritischen „Ruhrgebietskunst“, die sich nicht auf das Lokale oder Regionale festlegen lässt, sondern die aus der Verortung in der Region Identität und künstlerische Kraft bezieht.

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Profile

Horst-Dieter Gölzenleuchter (geb. 1944) arbeitet seit 1971 freiberuflich als bildender Künstler und Autor im Ruhrgebiet (Bochum). Seine Holzschnitte, Radierungen, Malereien und Stahlskulpturen wurden u.a. in Frankreich, Indien, den Niederlanden, Österreich, USA, der ehemaligen Sowjetunion und in zahlreichen Städten Deutschlands, in Museen, Galerien, Kulturhäusern gezeigt. Literarische Arbeiten liegen als Anthologie und Einzelveröffentlichung vor. Dazu Veröffentlichungen in schwedischen, niederländischen und deutschen Schulbüchern.

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